Neue und vor allem innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln, ist sehr herausfordernd. Nachhaltig belastbare Konzepte erfordern Trend-Verständnis, Weitsicht und Vision. Die angewendete Technik hierfür nennt sich „Lean Startup“. Dieses allerdings in großen Unternehmen zu etablieren ist schwierig. Denn je größer das Unternehmen, desto mehr einzelne Abteilungen, die nicht unbedingt in ihren Zielvorhaben miteinander arbeiten. Im Gegensatz zu Startup-Strukturen. Gute Startups haben meistens nur eine Zielmetrik für einen bestimmten Zeitabschnitt. Dennoch wünschen sich viele Unternehmen bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle eine Startup-Kultur. Wie kann das funktionieren? Ein wichtiger Treiber für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Startups oder für die Entwicklung einer Startup-Kultur als Grundlage zur Konzeption neuer Businessmodelle ist Trend Scouting.
Beim Trend-Scouting schließen wir Industrie-Trends, Technologien oder marktnahe Lösungen ein. Wir versuchen hierbei einen Blick in die Zukunft zu werfen und ein Scouting-Profil zu entwerfen. Das Ziel hierbei ist, Änderungen im Markt frühzeitig zu erkennen. Ein valider Indikator hierfür ist die Vergabe von Beteiligungskapital an Startups. Insbesondere wenn diese sich um ein Thema bilden. Wenn z.B. eine Vielzahl von Startups im Bereich Mikro-Mobilität hohe Investitions-Summen erhält, so zeigt dies einen entsprechenden Trend in diesem Segment an. So dürfte eigentlich kein Taxi-Unternehmen überrascht sein, dass sich der Markt durch UBER, Lyft oder ähnlichen Anbieter fundamental geändert hat und die eigene unternehmerische Haltbarkeit abläuft. Gute Quellen hierfür bieten zum Beispiel die Portale Pitchbook oder Crunchbase.
Wachstum vs. Profitabilität
Dabei ist es zunächst egal, ob das Geschäftsmodell kurzfristig profitabel ist. Diese Auslassung von Rentabilität stößt in etablierten Unternehmen häufig auf Unverständnis, wenn doch deren Erfolgskennzahl vorrangig der profitable Umsatz ist. Bei diesen Konzepten steht Profitabilität in der Rangordnung der Ziele klar hinter Wachstum. Hier können Geschäftsmodelle sukzessive angeordnet sein, weil ein Markt erarbeitet wird, der sich dann durch einen technologischen Paradigmenwechsel grundlegend ändert: Im ersten Schritt wird der Markt erarbeitet, und wenn dann der Paradigmenwechsel stattfindet, kann das Unternehmen Profitabilität anstreben.
Aufgrund der eingetroffenen Erwartungshaltung ist es besser, hierauf vorbereitet zu sein, um den Marktbegleitern Anteile abzunehmen. Dies trifft beispielsweise bei Lieferdiensten zu. Hier wird zunächst eine Versorgungslücke am Markt geschlossen. So bringen Lieferanten zubereitete Speisen von Gastronomien, die selbst keinen Lieferservice anbieten.
Das Geschäft ist aufgrund der Zahlungen an die Kuriere zunächst unprofitabel, löst aber ein Problem eines steig wachsenden Kundensegments, das neben der Pizza auch das Fischgericht des Lieblings-Italieners bestellen will, gerne gegen Aufpreis. Wenn dann aber der Kurier durch eine kostengünstige Alternative, wie z.B. einer Drohne oder einem selbst-fahrenden Auto, ersetzt werden kann, dann steigt die Profitabilität des Modells vielfach und Markt-Segmente werden zügig besetzt.
Wachstum schlägt Profitabilität
Wachstum schlägt Profitabilität immer dann, wenn Investitionskapital leicht im Markt zu finden ist. Verfügbares Beteiligungskapital die Investitionsbudgets vieler etablierter Unternehmen. Ein gutes Beispiel hier ist ein Startup im Bereich Augmented Reality, Magic Leap. Das Unternehmen möchte Augmented Reality-Brillen höchster Qualität herstellen. Das Interessante an Magic Leap ist die Investitionssumme, die in das Unternehmen von namhaften Kapitalgebern wie Google oder Alibaba geflossen sind. 1,5 Milliarden Dollar wurden hier investiert, bevor ein funktionierender Prototyp entwickelt wurde. Von der Profitabilität ist das Unternehmen noch meilenweit entfernt.
Es ist also bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sinnvoll, darauf zu achten, welche Startups sich mit wie viel Kapital in relevanten Feldern positionieren; denn dann kann das Unternehmen entscheiden, selbst in ähnliche Trends zu investieren, oder die Zusammenarbeit mit diesen Startups zu suchen, um den Anschluss an die Markt-Dynamik nicht zu verlieren.
Disruptiv vs. Komplementär
Obwohl das Wort Disruption immer häufiger Verwendung findet, so steigert sich damit nicht die tatsächliche Anzahl von Markt-Disruptionen. Das Potenzial für eine abgeschlossene Disruption ist sicherlich vorhanden, die Veränderung vollzieht sich allerdings langsam. Eine erarbeitete Markt-Position muss immer weiter verteidigt und ausgebaut werden, um den Fortbestand eines Unternehmens entgegen widrigen Umständen zu gewährleisten.
Eine abgeschlossene Disruption können wir in der Telekommunikation vom Telefon mit Wählscheibe hin zu den heutigen Smartphones betrachten. Hier führte die Fehleinschätzung der Markt-Dynamik zu Gewinnen und Verlusten. Bei Microsoft war sich die Führung sicher, dass „ein Mobiltelefon kein Computer“ ist – jeder, der heute unterwegs Mails liest, im Internet surft oder den nächsten virtuellen Spiele-Charakter belebt, der weiß, dass dies eine falsche Einschätzung war.
Diese Disruption war sicherlich für die Markt-Teilnehmer:innen keine plötzliche Überraschung, und trotzdem gelten Nokia Smartphones heute eher als „antike“ Rarität, Blackberry hat im Kampf um Distribution gegen Apple den Kürzeren gezogen und Microsoft hat weder Hardware noch ihr mobiles Betriebssystem erfolgreich platziert.
Trend-Scouting gibt somit noch keine Handlungsempfehlung wie eine eigene Innovation angewendet werden kann, zeigt aber Trends und die Trend-Treiber als mögliche Technologie-Partner auf.
Komplementäre Dienstleistungen
Ähnliches gilt für komplementäre Dienstleistungen. Scheitern äußert sich hier häufig in der “Make or Buy”-Entscheidung: Glauben die Mitarbeiter:innen des gewachsenen Unternehmens daran, dass sie selbst ein besseres komplementäres Feature für ihr Hauptprodukt entwickeln können als ein Startup? Vielfach werden hier direkt mögliche Lernkurven verweigert, und das führt zu Ressourcen-Verschwendung.
Komplementäre Lösungen lassen sich am besten in Pilotierungen vertesten. Auch hier lohnt wieder der Blick auf Startups: Eine gut durch geführte Pilotierung eines Startup Produkts in der eigenen Linie, ein sogenannter Proof of Concept, ist deutlich günstiger, als die eigene Entwicklung. Das Startup hat hier meist schon harte Lernerfahrungen gemacht. Dieses Wissen sollte in die Pilotierung einfließen. Im Gegenzug profitiert das Startup von der Vertestung des Produkts in einer entsprechenden Skalierung.
Die Kunst im Scouting für komplementäre Ansätze liegt also darin zu erahnen, wohin sich der Markt entwickelt, wie das eigene Produkt möglicherweise iteriert werden müsste und welche Features hier relevant werden. Aus Unternehmensperspektive gilt: Wenn es Startups gibt, die ihr Kern-Produkt in einer solchen Iteration gefunden haben, so gehört das Startup auf das Scouting-Radar für das nächste Geschäftsmodell.
Weiterentwicklung von Business Modellen
Wichtiges Merkmal beim Trend Scouting ist die Weiterentwicklung von Business Modellen. Ein besonders gutes Beispiel finden wir in der Software-Branche, genauer gesagt im Produktvertrieb. Die Microsoft Office Version passend zum Betriebssystem Windows 97 war eine Software Lizenz, die einmal gekauft, installiert und dann bei Bedarf zur nächsten Version upgedated wurde. Dieses Modell hat sich iteriert, heute wird ein Abonnement-Modell für Software bevorzugt, der Käufer spart sich dabei hohe Anschaffungskosten, ist somit gewillter Lösungen auszuprobieren, das Business Modell ist häufig robuster und das Produkt kann stets am Kunden weiterentwickelt werden.
So werden Nutzer-Daten analysiert und neue Features in immer häufigeren Roll-Outs in den Markt gebracht. Die Überlegenheit des Produkts wächst somit konstant am Markt und nicht mehr mit jährlichen Neu-Erscheinungen. Was für Software gilt, mag künftig auch für andere Bereiche gelten, bei der Mobilität zum Beispiel, Stichwort Tesla. Ausgehend von dem Ansatz, dass das Auto als Hardware durchaus eine höhere Haltbarkeit hat als die Software im Auto, wird die Hardware lediglich einmal als Basis verkauft. Der Kunde kann dann seine Software immer updaten oder über neue Apps die eigene Mobilität individualisieren.
Marktplätze vs. Direct to Customer
Apps bringen uns zum nächsten Business Modell-Phänomen – Marktplätze. Das größte “Taxi”-Unternehmen der Welt ist UBER und hat keine eigene Auto-Flotte, Netflix produziert erst seit kurzem eigene Inhalte und Amazon dient virtuellen Händlern als Plattform. Auch hier wurde erst viel später mit dem Verkauf der eigenen Produkte begonnen. Das Wissen über Kundenwünsche und die gezielte Bedienung des Marktes ist hier das originäre Produkt. Hier nun später eigene Produkte zu lancieren, verbessert die Erfolgschancen. Die Bindung der Markt-Teilnehmer:innen ist der Vorteil gegenüber dem Wettbewerb. So hat Amazon begonnen, eigene Bücher zu verlegen und übertrumpft damit die Verlage, die Bücher über die Plattform vertreiben; allerdings würde ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Marktplatz parallel zu Umsatzverlusten führen.
“Direct to Consumer” Modelle, also Modelle, in denen der Produzent direkt an den Kunden liefert, schalten die Kosten und Notwendigkeit eines Mittlers aus. Dieser Trend ist das Gegenteil des Marktplatzes und immer dort zu finden, wo entweder wenig Information benötigt wird oder die Beratungsleistung auch virtuell über den Produzenten gut bereitgestellt werden kann. So haben Mikro-Brauereien in den USA den Platzhirschen Inbev und Anheuser Busch beachtliche Marktanteile in Summe abnehmen können. Ebenso werden immer mehr spezialisierte Möbel wie Regale oder Betten vom Produzent nach Kundenwunsch hergestellt und ohne den Umweg eines Möbelhauses zum Kunden versendet.
Amazon ist ebenfalls ein gutes Beispiel für den letzten Baustein im Scouting Profil – Marktveränderung. Der virtuelle Handel von Gütern, E-Commerce, steigt weiterhin. Der stationäre Einzelhandel erfährt hierüber Druck und entwickelt zunehmend Omni-Channel Strategien, um dem virtuellen Konkurrenten entgegentreten zu können. Neue Technologien ermöglichen dem Kunden neue Entscheidungen: So kämpfen TV-Sender gegen Streamingdienste. Das On-Demand Modell von Prime und Netflix gefällt immer mehr Kunden, die bereit sind, eine Abonnement-Summe zu zahlen und dafür Hoheit über die eigene Programmgestaltung zu bekommen – und auf Werbemitteilungen verzichten zu können.
Die Marktveränderung tritt häufig parallel zu rechtlichen Veränderungen auf. Die Legalisierung von Cannabis führte in Kalifornien einen riesigen Markt aus der Illegalität zu einem über-proportionalen Marktwachstum. In Deutschland führte eine Änderung des Ferntransport-Gesetzes zur Geburt von Flixbus, das sich am Markt gegen etablierte Unternehmen durchsetzen konnte, unter anderem auch gegen das Busangebot der deutschen Bahn.
Nicht nur im digitalen Umfeld oder Einzelkundensegment gibt es Veränderungen durch Technologie. Der industrielle 3D-Druck ermöglicht es z.B. zunehmend, Baumaterialien am “Point of Use” direkt für den Einsatz zu fertigen. So werden Dachziegel nicht mehr geliefert, sondern auf der Baustelle bei Bedarf gedruckt. Smart Manufacturing erlaubt es, immer individuellere Kleinst-Serien zu produzieren. Die Produktionskosten werden immer geringer, so dass der Initialaufwand für Gründer neuer Dienstleistungen immer kleiner wird; parallel ist der Markt immer offener für das Testen der nächsten Innovation – das erhöht den Druck auf etablierte Unternehmen.