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Professor Dr. Wolfgang Boos hat mit dem Jahreswechsel 2023 die Geschäftsführung des langjährigen KVD-Partners FIR an der RWTH Aachen sowie die Leitung des Clusters Smart Logistik auf dem RWTH Aachen Campus übernommen. Er hat damit die Nachfolge von Professor Dr. Volker Stich angetreten, der 26 Jahre lang die Geschicke des Instituts leitete und heute Vorstandsvorsitzender des KVD ist. Über seine Ideen zur Dienstleistungswende und seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung des Instituts sprach ServiceToday-Redakteur Michael Braun mit Professor Dr. Wolfgang Boos.

Michael Braun: Herr Boos, Sie sind seit dem 1. Januar 2023 Geschäftsführer des FIR. Wie sind Ihre ersten Eindrücke?

Wolfgang Boos: Lassen Sie mich kurz ausholen: Ich habe gut 15 Jahre den Lehrstuhl Produktionssystematik des Werkzeugmaschinenlabors als geschäftsführender Oberingenieur geleitet. Ich hatte während dieser Zeit immer wieder Kontakt mit  dem FIR. Und auch wenn es nur die andere Straßenseite ist, war es dann doch ein anderes Gefühl, als es am 1. Januar los ging. Beide Institute sind in Aachen. Beide beschäftigen sich mit ähnlichen Themen, etwa Fragen der Digitalisierung und wertsteigernden Kreislaufwirtschaft für die produzierende Industrie. Trotzdem sind sie ganz unterschiedlich – das hat mich beeindruckt. Ich habe hier ein sehr interessantes und sehr gut strukturiertes Institut vorgefunden, die Mitarbeitenden haben mich sehr offen und gut  aufgenommen. Sie sind hochmotiviert und haben großen Spaß. Es besteht ein unglaublich gutes Netzwerk. Das FIR ist in den verschiedenen Communities gut unterwegs, es gibt verschiedenste Forschungsprojekte, nicht nur fokussiert auf Maschinen- und Anlagenbau, sondern auch ganz offen für die verschiedensten Branchen, in denen man dann immer wieder versucht, die Expertise, die das Haus hat, miteinzubringen. Das Netzwerk hat mein Vorgänger Volker Stich in 26 Jahren aufgebaut – diese Leistung war sicherlich einzigartig und ich bin sehr froh, dass er mich dieses Jahr noch ein wenig unterstützt.

Michael Braun: Aber Sie setzen auch erste eigene Schwerpunkte…

Wolfgang Boos: … natürlich habe ich auch ein paar Veränderungen vor. Ich habe eine eigene Vision und habe diese den verschiedenen Verantwortlichen und der Führungsmannschaft vorgestellt. Aber das FIR hat sich ja auch vorher schon verändert, nicht nur räumlich. Durch das extrem gewachsene Netzwerk findet man immer auch Anknüpfungspunkte für neue Forschungsideen oder Projekte mit Partnern. Und diese Partnerseite ist sehr heterogen – das macht’s unglaublich spannend. Alle Partner untereinander haben großes Interesse, sich auszutauschen und Best Practices zu diskutieren, sich gegenseitig vorzustellen.

Michael Braun: Volker Stich war jetzt ein Vierteljahrhundert in dieser Position, ist das auch ihre Perspektive?

Wolfgang Boos: Ich habe größten Respekt und Hochachtung vor der Lebensleistung von Volker Stich. Ich selbst habe jetzt noch rund 20 Arbeitsjahre vor mir und setze darauf, dass mir eine ähnliche Weiterentwicklung des Instituts gelingt. Ich möchte langfristig am FIR ein einen Fußabdruck hinterlassen. Da geht es nicht nur um die Weiterentwicklung der Themen, die das FIR stark gemacht haben, sondern ich möchte das Portfolio zum Beispiel um das Thema Kreislaufwirtschaft ergänzen. Das wird das zentrale Thema für die nächsten 20 Jahre sein – wir werden viele Unterstützungsleistungen für die Industrie aufzeigen können. Dabei hilft, dass in drei Jahren unser Erweiterungsbau bezugsfertig sein wird, und wir werden weiter in die Infrastruktur investieren.

Michael Braun: Stellen Sie auch jetzt schon Veränderungen in der Perspektive der Unternehmen fest, gerade auch mit Blick auf die Dienstleistungswende?

Wolfgang Boos: Sicherlich, wir stehen da vor einem fundamentalen Paradigmenwechsel. Es geht ja nicht nur um inkrementelle Veränderungen, sondern auch um Geschäftsmodell-Transformation; denken Sie nur an die Abomodelle, durch die Eigentumsverhältnisse auf einmal ganz andere sind, oder das Verständnis von Dienstleistungen mit veränderten Erwartungen bei Anbietern, aber auch bei Konsumenten und Kunden. So einen Paradigmenwechsel hat sich die letzten 30 Jahre vom handwerklichen zum industriellen Werkzeugbau vollzogen. In Analogie dazu glaube ich, dass wir mit der Dienstleistungswende eine große Chance haben, gerade mit der Dienstleistungsorientierung im deutschsprachigen oder europäischen Raum, mit guten Konzepten und mit dem Verständnis davon, was der Kunde erwartet. Wir sprechen also von Kundenorientierung und Kundenbegeisterung. Ich habe die ersten Gespräche mit verschiedenen Unternehmen geführt und war positiv überrascht, wie offen diese Unternehmen für die Dienstleistungswende sind; diese Transformationsbereitschaft kenne ich aus dem Werkzeugbau nicht, da war man eher missionarisch unterwegs. Diese Unternehmen erwarten Lösungswege zur Dienstleistungswende, und das ist die Stelle, an der jetzt der KVD und das FIR die Aufgabe haben, Orientierung zu geben und Leitplanken aufzuzeigen, auch mit neuen Formaten und neuen Ansätzen. Da spielt auch der Faktor Nachhaltigkeit mit hinein: Es gibt ja schon richtig gut vernetzte Anlagen, die mitteilen, wenn mit ihnen etwas nicht stimmt. Und das zu kombinieren mit Abomodellen, bei denen der Maschinenhersteller Eigentümer bleibt, so bewegt sich etwas in Richtung Kreislaufwirtschaft. Denn dann hat der Hersteller auch ein originäres Interesse, die Anlage möglichst lange in Betrieb zu lassen. Damit kann Kreislaufwirtschaft auch profitabel werden. Wir stehen damit vor einer wertsteigernden Kreislaufwirtschaft, bei der ich mit den richtigen Produktarchitekturen und den passenden Abomodellen wirklich Ressourcen einsparen kann. Dafür müssen wir die Hebel schon ganz früh ansetzen, in der Produktentwicklung, und alle Phasen im Lebenszyklus einer Maschine im Blick behalten, von der Herstellung der Maschine selbst über den Gebrauch bis zur kontinuierlichen Instandhaltung. Das ist dann auch ein gesellschaftliches Thema. Wenn wir an langlebige Produkte denken, müssen wir sicherstellen, dass wir auch in 50 Jahren noch die richtigen Schnittstellen haben, um Daten auslesen und Updates aufspielen zu können. Ich glaube, dass deswegen Dienstleistungen, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung ganz eng beieinander sind und sich gegenseitig befähigen können. Wir haben ehrlicherweise gar keine andere Chance, wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen – dann ist Nachhaltigkeit Pflicht.

Michael Braun: Das ist dann aber auch ein Kommunikationsthema…

Wolfgang Boos: Sie haben vollkommen recht, es bedarf eines fundamentalen Verständnisses in der Bevölkerung. Es gilt zum Beispiel, zu verstehen, dass ich aufgearbeitete Produkte nutze und nicht immer wieder alles neu haben muss. Jetzt muss man sagen, dass eine Transformation immer eine  Veränderung ist. Was sind denn die Erfolgsrezepte und die Erfolgstreiber für so eine Veränderung? Natürlich muss ich den Menschen mitnehmen, natürlich muss ich das richtige Methodenwissen haben. Zwei Drittel aller  Veränderungsprojekte scheitern – wir dürfen bei dieser Service-Transformation nicht scheitern. Da kommt es meiner Ansicht nach auf die richtige Dramaturgie an. Der Service ist ein gutes Beispiel, wie es gehen kann: Wir haben erkannt, dass die Serviceabteilungen einen unglaublichen Wissensdurst haben. Dr. Maximilian Schacht, Leiter Service Performance Center, und Dr. Lennard Holst, Bereichsleiter Dienstleistungsmanagement am FIR, die das Thema federführend betreiben, haben sich da sehr viele Gedanken gemacht, mit welchen Formaten, Community-Projekte und Weiterbildungsformaten man den Unternehmen dabei behilflich sein kann, die Transformation anzustoßen. Wir werden das weiter ausbauen und auf die Themen von IT-Systemlandschaften übertragen. Denn um die entsprechenden Dienstleistungen auszuführen, brauche ich eine ganz andere Datenbasis und viel mehr Informationen. Das betrifft dann unser Center Connected Industry, wo wir zeigen, wie mit den Potenzialen umgegangen werden kann, Stichwort 5G. Unser Center Connected Industry wird ein wichtiger Befähiger, gerade auch mit Blick auf das Thema Smart Commercial Building. Bald werden wir eine Systematik aufgebaut haben, mit der man Bestandsgebäude innerhalb von zwei Tagen bewerten kann, um dann eine qualifizierte Aussage treffen zu können, was an Potenzial im Gebäude steckt, sodass es unter Umständen gar keinen Neubau braucht. Oder denken Sie an das Thema Open Source: Warum haben wir noch keinen Open Source Gebäudestandard? Warum muss ein Gebäude immer wieder neu entwickelt werden, wenn doch die statischen Grunddimensionen und Größen immer identisch sind? Das kann man natürlich direkt weiterdenken für andere Bereiche: Warum können nicht auch ERP-Systeme Open Source sein? Ich will nur zeigen, wie wir arbeiten, und dass wir uns sehr intensiv mit verschiedenen Dingen auseinandersetzen und neue Stoßrichtungen in den Blick nehmen, ohne dass wir unsere Grundthemen vernachlässigen. Denn dahinter steckt überall der Dienstleistungsgedanke, deswegen ist mein Anspruch, mit den Communities unserer Center bei dieser großen Service-Transformation mitzuhelfen, indem wir Orientierung und Hilfestellung leisten.

Michael Braun: Das FIR also gedacht als Ort, an dem Forschung und Wirtschaft zusammenkommen?

Wolfgang Boos: Ja, wir verstehen den RWTH Aachen Campus als Ort der Begegnung, wo Forschung und Industrie miteinander sprechen können. Es geht aber auch um gesellschaftsrelevante Themen, und wir wollen Stellung beziehen zur Zukunft. Wir wollen mit einer einzigartigen Infrastruktur so attraktiv sein, dass die Industrie nicht nur einmal im Jahr zu einer Veranstaltung nach Aachen kommt, sondern dass sich dies als ein Ort der Begegnung etabliert, um sich auszutauschen. Wir wollen wissen, an welchen Themen die Industrie arbeitet. Wir werden sie an unserer Demonstrationsfabrik noch einmal viel stärker beteiligen, und wir werden die Fabrik als relevante Infrastruktur für unsere Forschungsvorhaben, aber auch für die Industrie noch einmal fundamental umbauen, um sie auf ein anderes Level zu heben. Unternehmen sollen erkennen, dass wir nicht nur Use Cases zeigen, sondern dass sie direkt sehen können, wie sie Erkenntnisse selbst in den betrieblichen Alltag integrieren können. Wir wollen an der Stelle Vorreiter sein, mit starken Start-ups, die tolle Ideen haben und Innovationen vorstellen. Wir wollen mit dem FIR Leading Edge sein, mit den neuesten Technologien, mit den relevanten Partnern, für den Austausch, aber auch für das Auszuprobieren, das haptische Anfassen, das Reinschauen in Daten. Dabei müssen wir uns laufend transformieren, damit nie eine Art Museumscharakter entsteht. Veränderung muss bei uns der stetige Antrieb sein.

Info

Das Präsidium des FIR e. V. hat Professor Dr. Wolfgang Boos, MBA, in der Sitzung am 15. November 2022 berufen. Zuvor führte Boos 10 Jahre lang die Geschäfte des Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen und ist aktuell CEO weiterer Entitäten auf dem RWTH Aachen Campus, darunter die WBA Aachener Werkzeugbau Akademie GmbH sowie die am FIR angesiedelte DFA Demonstrationsfabrik Aachen GmbH. Darüber hinaus hält Boos am Lehrstuhl für Produktionssystematik der RWTH Aachen eine außerplanmäßige Professur mit einem Lehrauftrag für die Fächer „Unternehmensführung & Wandel“ sowie „Business Engineering“. Seine Erfahrungen im Hochschulumfeld sowie als Geschäftsführer verschiedener hier ansässiger Institute und Einrichtungen gaben nicht zuletzt den Ausschlag dafür, die Geschäftsführung in die Hände von Boos zu legen.

Das Interview ist in unserer ServiceToday Ausgabe 4/23 erschienen:

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