Große gesellschaftliche Prozesse und Herausforderungen wie die Pandemie oder der Ukraine-Krieg wirken sich auch auf Unternehmen aus. Märkte verändern sich mitunter disruptiv, Lieferketten ändern sich radikal. Neue Geschäftsmodelle sind gefragt, doch wie gelangt man zur nächsten Innovation, und welche Akteure im Unternehmen oder von außen bindet man in welcher Art und Weise ein? Klingt nach einem großen Geflecht von Komponenten, die man zusammenbringen muss. David Schrade und Veronika Mohr von The Morph Company sortieren die Puzzleteile, damit ein klares Bild daraus wird, wie Geschäftsmodelle der Zukunft entstehen können.
Michael Braun: Transformation, Werkstatt und Akademie – so beschreiben Sie die Arbeitsbereiche von The Morph Company. Was verbirgt sich hinter den drei Begriffen?
Veronika Mohr: Wir benutzen dazu gerne das Bild eines Hauses, das wir gemeinsam mit unseren Projektpartner:innen bauen, mit all den Strukturen, in denen sie sich bewegen.
David Schrade: Unser Fokus liegt auf den großen Transformationsthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, dort sehen wir unsere drei Arbeitsbereiche, um an der Metapher des Hauses anzuknüpfen. Eine positive Transformation für Organisationen zu gestalten ist immer unser Ziel. Hier geht es uns um die generelle Anpassungsfähigkeit von Organisationen durch agile Strukturen, Prozesse und die passende Arbeitsweise. In der Akademie vermitteln wir das nötige Methodenwissen und in der Werkstatt behandeln wir gezielt zukunftsfähige Geschäftsmodelle. Wir unterstützen also konkret bei der Entwicklung von digitalen und nachhaltigen Produkten und Services.
Michael Braun: Sie sprechen viel von Ko-Kreation – Sie entwickeln also keine Konzepte und Lösungen für Unternehmen von außen, sondern nehmen mit dem Unternehmen eine Perspektive von innen ein – kann man das so beschreiben?
David Schrade: Genau – wir verstehen unsere Rolle als Mischung aus Beratung und Coaching. Natürlich geben wir auch Expertenwissen zu gewissen Themen weiter, gerade wenn es um Strukturen für agile Arbeitsweisen geht. Es geht doch in Unternehmen vor allem darum, die Mitarbeitenden in diesen Transformationsprozess so miteinzubeziehen, dass diese die Expert:innen sind; eben jene also, die diese Lösung mitentwickeln. Denn dadurch etabliert sich die Lösung, verzahnt sich im Unternehmen und bleibt nachhaltig bestehen oder wird sogar weitergetragen.
Veronika Mohr: Diese Verzahnung der Perspektiven von innen und außen ist da ganz wichtig. Wir versuchen, die Innenperspektive zu verstehen und diese auch immer wieder strategisch und systematisch einzubinden. Dadurch, dass wir viele Projekte gesehen haben, können wir aber auch eine Expertise einbringen. Von außen haben wir eine gewisse Distanz zum Geschehen, die jemand im Unternehmen nicht hat.
Michael Braun: Welche typischen Hürden gilt es bei diesen Transformationsprozessen aus Ihrer Erfahrung zu überwinden?
David Schrade: Ein Thema ist sicher die Veränderungsmüdigkeit, gerade auch mit Blick auf die großen Herausforderungen in den letzten beiden Jahren, wenn wir an Corona denken oder den russischen Krieg gegen die Ukraine. Es gibt so viele übergeordnete Dinge, die Menschen betreffen. Und wenn es dann heißt, dass man sich immer wieder – wenn auch nur teilweise – neu erfinden müsse, wird es manchmal zu viel für die Betroffenen. Pandemien oder jetzt der Russland-Ukraine-Krieg, das macht etwas mit Unternehmen. Wenn man zukunftsfähig sein will, muss man einfach anpassungsfähiger in Organisationen werden. Und da sehen wir auch die Verbindungen zu agilen Themen: Wie schafft man es, dass man Strukturen und Arbeitsweisen in den Unternehmen lebendig werden lässt, die diese Anpassungsfähigkeit verbessern? Das hat viel mit Kompetenzen zu tun, die man weiterentwickeln muss.
Veronika Mohr: Und dann gibt es grundlegende Probleme, die immer wieder in diesen Transformationsprozessen auftauchen. Sind Strategien klar benannt? Sind Aufgaben und Rollen klar kommuniziert? Transformationsprozesse funktionieren nicht automatisch, nur weil man zum Beispiel Digitalexpert:innen oder Nachhaltigkeitsmanager: innen einstellt, und sich darauf verlässt, dass diese die Probleme werden lösen können.
Michael Braun: Viele Unternehmen stehen vor tiefgreifenden Transformationen, gerade durch Megatrends wie Dekarbonisierung und Digitalisierung. Was bedeuten diese Trends für die Geschäftsmodelle von Unternehmen, gerade auch mit dem Blick auf Entwicklungen wie Servitization oder Modelle wie everything-as-a-Service?
David Schrade: Im Mittelpunkt steht immer das Geschäftsmodell. Natürlich sollte man sein Geschäftsmodell eng an den Kundenbedürfnissen entwickeln – und das lernen einige Unternehmen noch für sich. Nehmen wir die Nachhaltigkeitstransformation in den Blick: Ab den 1950er Jahren wurde Verpackung plötzlich zu Abfall, weil man Kund:innen mehr Convenience bieten wollte. Kund:innen werden also zu Besitzern der Verpackung. Im zweiten Schritt bedeutet das, dass Unternehmen deswegen Verpackungskosten senken. Wenn man das Phänomen in Kontexten wie Service oder neuer gesetzlicher Vorgaben denkt, entwickelt sich jetzt gerade wieder ein Umdenken: Die Verpackung könnte nun wieder ein Asset werden, wenn Unternehmen sie weiterhin besitzen. Man kann sie zum Beispiel vermieten. Kommt der Service-Gedanke mit hinein, findet plötzlich eine Umkehrung von Wertschöpfung statt. Und das ist ein total spannender Punkt: Es gibt eben ganz viele neue Möglichkeiten, neue Services zu denken. Für Unternehmen heißt das, wenn sie sich die eigenen Geschäftsmodelle anschauen: Wo sehen wir gerade Kostenfaktoren, die zukünftig wieder Assets werden können, und welche Services können wir darum bauen? Auch das hat etwas mit Digitalisierung und Dekarbonisierung in gleichem Maße zu tun.
Veronika Mohr: Philips ist da ein spannendes Beispiel. Das Unternehmen hat ein Geschäftsmodell entwickelt, bei dem es nicht mehr darum geht, Glühbirnen zu verkaufen, sondern im Fokus steht, Licht als Service anzubieten. Der Flughafen Schiphol in Amsterdam wird von Philips nicht mit Leuchtmitteln versorgt, sondern mit Licht. Das bedeutet wiederum für Philips, dass ein strategisches Interesse besteht, dass die Ressourcen, die ja im eigenen Besitz bleiben, im Kreislauf funktionieren. Und gleichzeitig haben sie ein Interesse daran, dass die Leuchtmittel langlebiger sind. Weitere Beispiele sind das Vermieten von Kleidungsstücken, zum Beispiel für einmalige Events wie Hochzeiten, oder der Klassiker Carsharing.
Michael Braun: Das sind in der Tat gute Beispiele. Wie kann ich mein Geschäftsmodell innovieren, wenn sich das als notwendiger Weg herausgestellt hat?
David Schrade: Da hilft immer der Blick auf bestehende eigene Geschäftsmodelle in Verbindung mit dem, was sich gerade im Markt verändert – durch Trends, aber auch durch Regulatorik in der Nachhaltigkeitstransformation. Unternehmen müssen sich fragen: Was betrifft unser Geschäftsmodell und inwieweit müssen wir etwas ändern? Wenn man erfolgreich ist, versucht man zu adaptieren und traut sich den disruptiven Sprung oder Wurf oft nicht zu. Es hängt also oft auch davon ab, ob es dem Unternehmen wirtschaftlich gut geht. Die entscheidende Frage ist aber: Wie robust ist dieses Geschäftsmodell auch in der Zukunft?
Veronika Mohr: Viele trauen sich den Wandel nicht mit der eigenen Marke zu; sie schaffen eine neue Brand, um am Markt Services auszuprobieren und dem Ganzen so einen gewissen geschützten Raum zu geben. Wie man das konkret umsetzt, hängt von der Sache ab – und von Faktoren wie Kapazitäten und Ressourcen. Dazu gibt es ganz unterschiedliche Tools und Innovationsformate.
David Schrade: Man kennt diese Modelle – Labs, Hubs oder irgendwelche Ko-Kreation Spaces. Das ist die Hülle, aber was innen passiert, ist ja spannend: Unternehmen versuchen, wieder so zu arbeiten wie Startups. Und im Prozess kann es dann ganz viele Barrieren geben, Stichwort Ressourcen: Wer entscheidet über das Personal, das abgestellt wird? Oder es gibt den Weg, Startups zu kaufen? Ein Weg, der nicht immer vom Markt akzeptiert wird.
Veronika Mohr: Die Mitarbeitenden sind da ein ganz wichtiger Faktor – und auch das Ziel des Unternehmens. Ich kann Innovationsprogramme durchführen, bei denen die Menschen im Unternehmen etwas lernen – und das ist auch ganz wichtig. Aber wenn ich mit dem Programm ein Geschäftsziel verbinde, das nicht nur aus Fortbildung besteht, sondern bei dem auch eine konkrete Innovation entstehen soll, dann muss ich mir ganz genau überlegen, wie ich das konstruiere. Wieviel Zeit haben die Mitarbeitenden, um dort mitzuwirken? Sollen es zehn Prozent ihrer Arbeitszeit sein? Dann haben sie nicht die Kapazität, substanziell etwas zu bewegen. Kann ich ausgewählte Mitarbeitende stattdessen ganz freistellen? Damit sind andere Fragestellungen verbunden: Ist sichergestellt, was mit dem Produkt passiert, wenn die Ideenphase vorbei ist? Kehren die Mitarbeitenden dann wieder in ihren alten Job zurück? Und ganz wichtig: Welche Mitarbeitenden schicke ich in so ein Programm?
David Schrade: Es gibt noch einen anderen Aspekt: Im Mittelstand ergeben sich in Sachen Services gerade neue Möglichkeiten – weil man dort für sich realisiert, dass in Kontexten wie Services, Nachhaltigkeit und Transformation ein Miteinander besser ist als ein Gegeneinander. Ich denke da an eine Zukunftswerkstatt im Lebensmittelbereich, wo unterschiedliche Stakeholder und Unternehmen an einem Tisch zusammensitzen, um in der Branche zu denken und nicht allein auf sich bezogen. Es geht darum, gemeinsam Lösungen zu entwickeln für große, übergelagerte Themen wie Nachhaltigkeit oder Wertschöpfungsketten. In solchen Formaten der Kollaboration steckt enorm viel Potenzial. Und damit sind wir auch wieder beim Stichwort Ko-Kreation. Expert:innen werden in diesem Prozess punktgenau eingesetzt, bei Einzelthemen wie Verpackungen oder Logistik. Das betrifft dann auch die Rollen von Banken oder staatlichen Organisationen. So können gezielt Beratungen etabliert werden zu Fördergeldern, die auch passgenau eingesetzt werden können. Gerade wenn es um neue Geschäftsmodelle mit Blick auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung geht, ist da viel Bewegung im Markt. Für solche neuen Prozesse sind wir vollkommen offen.